Translanguaging Pädagogik

Sehr oft sieht oder hört man ähnliche Sätze von Lehrern auf der ganzen Welt. Viele denken vielleicht, dass der Ausschluss anderer Sprachen aus der Kommunikation im Unterricht, insbesondere der Heimatsprachen der Schüler, den Schülern hilft, die Zielsprache effizienter zu lernen, und noch mehr würden wohl zustimmen, dass dieser Ansatz der Sprachtrennung sinnvoll ist. Nun, es kommt auf die Perspektive an.Betrachtet man Sprache aus dem externen Blickwinkel der nationalstaatlichen Politik, dann ist die Sprachtrennung sinnvoll, weil sie dazu beiträgt, die bestehenden sozialen Hierarchien aufrechtzuerhalten, die in der Tat Ungerechtigkeiten gegenüber Sprechern von Minderheitensprachen mit sich bringen können. Nimmt man jedoch den internen Blickwinkel des Sprechers ein, so macht der Sprachtrennungsansatz keinen Sinn. Im Gehirn des Sprechers sind Sprachen nicht in separate Kästchen unterteilt. Im Gegenteil, sie bilden ein einziges, fließendes sprachliches Repertoire, aus dem der Sprecher relevante Aspekte auswählt, um zu kommunizieren; mit anderen Worten, es erfolgt ein sogenanntes translanguaging (Otheguy et al., 2015). Da Translanguaging die Bedeutung sämtlicher Aspekte des sprachlichen Repertoires des Sprechers hervorhebt, kann Translanguaging die ungerechten hierarchischen Beziehungen auflösen, die den Sprechern bestimmter Sprachen gegenüber anderen ein Privileg einräumen (Vogel & García, 2017), was insbesondere im Bildungsbereich sichtbar wird.Für Lehrer, die sich bemühen, allen Kindern in ihrer Klasse eine angemessene Bildung zu bieten, ist die Anwendung der Translanguaging Pädagogik nützlich. Allgemein gesprochen bedeutet Translanguaging Pädagogik, dass der Lehrer dem Kind hilft, sein sprachliches Repertoire zu aktivieren und es für einen maximalen Entwicklungs- und Kommunikationsgewinn zu nutzen (Vogel & García, 2017). Dazu muss die Lehrkraft an den Wert und den Nutzen des sprachlichen Repertoires des Kindes glauben, es in den Unterricht integrieren, beispielsweise in Form von Aktivitäten in der Heimatsprache des Kindes, und bereit sein, kurzerhand auch Änderungen in der Unterrichtsstunde vorzunehmen, um zum Beispiel das Kind durch Translanguaging zu ermutigen (Vogel & García, 2017). Um mit der Translanguaging Pädagogik erfolgreich zu arbeiten, muss der Lehrer nicht unbedingt alle Sprachen der Kinder fließend beherrschen; in stark mehrsprachigen Klassen wie denen in Luxemburg ist das schlichtweg unmöglich. Eine positive Haltung gegenüber dem fließenden sprachlichen Repertoire des Kindes, die Tatsache, dass im Unterricht schon vorab Translanguaging Aktivitäten eingeplant sind und etwas Raum vorsehen für Translanguaging Anpassungen während der Unterrichtsstunde werden einen großen Unterschied für die sprachliche, kognitive und sozio-emotionale Entwicklung mehrsprachiger Schüler machen. Denn wie Ignacio Estrada sagte: „Wenn ein Kind nicht so lernen kann, wie wir es unterrichten, sollten wir vielleicht so unterrichten, wie es lernt“. Und genau das tut die Translanguaging Pädagogik.

Otheguy, R., García, O., & Reid, W. (2015). Clarifying translanguaging and deconstructing named languages: A perspective from linguistics. Applied Linguistics Review, 6(3), 281-307. 

Vogel, S., & García, O. (2017). Translanguaging. Oxford Research Encyclopedia of Education.

Kontinua der Biliteracy

Eines der Hauptziele jedes Lehrers ist es, dass das Kind die Schreib- und Lesefähigkeit, die Literacy, entwickelt. Schreiben und Lesen sind die Grundpfeiler für die weitere Sprachentwicklung des Kindes und deren Aufbau wird in der Regel von klein auf mit viel Aufwand beim Kind gefördert. Wenn ein Lehrer mit einer mehrsprachigen Klasse arbeitet, kommt eine besondere Aufgabe hinzu, nämlich die Biliteracy mehrsprachiger Kinder zu fördern – also die Fähigkeit, in zwei oder mehr Sprachen schriftlich oder im Umfeld des Schreibens zu kommunizieren (Hornberger, 2004).Verständlicherweise können zusätzliche Sprachen Verwirrung stiften im Rahmen der sonst üblichen einsprachigen Alphabetisierung, an die die meisten Lehrer so gewöhnt sind. Um diese Verwirrung zu vermeiden, müsste idealerweise bei den Lehrern ein Verständnis für das Konzept der Biliteracy vorhanden sein. Dabei ist es wichtig, dies nicht als eine feste und starre Struktur zu verstehen, die in die Lese- und Schreibfähigkeit der Sprache A und die Lese- und Schreibfähigkeit der Sprache B unterteilt werden kann. Biliteracy sollte vielmehr als ein fließendes Zusammenspiel von sich wechselseitig bedingenden Kontinua von Fertigkeiten, Wissen und Erfahrungen im schriftlichen Languaging des Kindes gesehen werden (Hornberger, 2004). Es gibt zwölf Kontinua, die in vier sich wechselseitig bedingende Bereiche gegliedert werden können: Entwicklung der Biliteracy des Kindes (Kontinua von Rezeption-Produktion, mündlich-schriftlich, erste-zweite Sprache), Inhalt der Biliteracy (Kontinua von Minderheit-Mehrheit, umgangssprachlich-literarisch, kontextualisierter-dekontextualisierter Inhalt), Mittel der Biliteracy (Kontinua von gleichzeitiger-sukzessiver Exposition, ungleicher-gleichartiger Strukturen, divergent-konvergenter Skripte) und Kontext der Biliteracy (Kontinua von Mikro-Makro-, mündlichen-lese- und schreibfähigen, zwei-/mehrsprachigen-einsprachigen Kontexten); Hornberger, 2004). An einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung steht das Kind auf spezifischen Positionen auf allen zwölf Kontinua. Aufgrund der Wechselbeziehungen verschiebt sich die Position des Kindes in allen Kontinua in Richtung bestimmter Endpunkte, wenn sich die Biliteracy entwickelt, was die Biliteracy also sehr dynamisch macht (Hornberger, 2004).Obwohl es theoretisch recht komplex erscheint, lässt sich das Modell der Kontinua der Biliteracy (Hornberger, 2004) sehr gut praktisch umsetzen. Im Idealfall sollen Lehrer mehrsprachige Kinder dabei unterstützen, jeden Endpunkt der Kontinua zu erreichen. Es ist auch ratsam, zuerst die weniger leistungsstarken Enden der Kontinua im Auge zu behalten. Zum Beispiel sollen Lehrer den Schwerpunkt auf die Erst- gegenüber der Zweitsprache des Kindes legen, Inhalte in Minderheitensprachen gegenüber jenen in der Mehrheitssprache bevorzugen, Translanguaging den Vorzug geben gegenüber der Sprachtrennung bei der Sprachexponierung, dem Mikrokontext des Zuhauses mehr Gewicht geben gegenüber dem Makrokontext der Gesellschaft. Die Beachtung weniger leistungsstarker Ziele kann wichtige positive Konsequenzen für den Schulerfolg mehrsprachiger Kinder haben, da so die ungerechten Sprachhierarchien durchbrochen werden.

Hornberger, N. H. (2004). The continua of biliteracy and the bilingual educator:
Educational linguistics in practice. International Journal of Bilingual Education and Bilingualism, 7(2&3), 155–171.

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